Leseprobe zu Aschengrenze

 

Es gab wieder Erdbeeren. Prall, rot und sonnengeküsst lagen sie in bedruckten Kartonkörbchen und verströmten ihren süßen Duft. In den Supermärkten waren Erdbeeren schon seit März im Angebot, aber nicht an Albert Inauens Marktstand im Herzen St. Gallens. Er verkaufte nur Erzeugnisse aus Eigenproduktion, darum gab es Erdbeeren erst im Mai. Dazu Spargeln, Rhabarber, Salat und Kartoffeln. Eier von glücklichen Hühnern und Äpfel vom letzten Jahr, die etwas verschämt in ihren Kisten lagen, denn nun waren die Erdbeeren der Star.

Feline brachte gemeinsam mit Albert die schmackhaften Produkte vom Bodensee an die Frau und den Mann. Ihre Freunde nannten sie Lini, denn ihren Taufnamen mochte sie nicht. Bis heute hatte sie nicht begriffen, wie ihre Mutter ihr einen derart doofen Namen geben konnte.

Die Arbeit an der frischen Luft gefiel ihr besser, als nur im Büro zu hocken. Sie war unter Leuten, ohne zu nah in Kontakt mit ihnen treten zu müssen. So ein Marktstand hielt die Leute auf Distanz, dahinter konnte man sich prima verstecken.


Aha, »der Schwede«.

Seit rund zwei Wochen kam er an jedem Markttag an Alberts Stand; eindeutig ein angehender Stammkunde.

»Hallo, ich heiße Úlfur«, hatte er sich bei seinem zweiten Besuch vorgestellt, als wäre es unheimlich wichtig, dass die Verkäuferin an einem St. Galler Marktstand ihre Kunden beim Vornamen kannte. Weil Lini seinen Namen nicht auf Anhieb verstanden hatte, wiederholte er ihn noch zweimal langsam. Ausgesprochen wurde es so ähnlich wie Ulwür, das ü spielte allerdings leicht ins ö hinein. Typisch schwedisch halt.

»Gibst du mir den Stift und Papier«, bat er. Lini reichte ihm ihren Notizblock und den Kugelschreiber, er schrieb sorgfältig etwas auf und reichte ihr dann beides wieder.

Úlfur stand auf dem Zettel. Nun wusste sie also, wie man den komischen Namen richtig schrieb, bezweifelte aber, dass es eine Rolle spielte.

Sie nannte ihm schließlich auch ihren Namen, Lini natürlich, nicht ihren doofen Taufnamen.

Úlfur redete ähnlich wie der Mann aus dem Werbespot für das schwedische Möbelhaus, deshalb nannte Lini ihn »den Schweden«. Viele ihrer Kunden bekamen heimlich einen Übernamen. Die hagere, blondierte Mittsechzigerin mit der eisernen Miene nannte Lini »die Queen«. Würdevoll, mit unnatürlich geradem Rücken ging sie über den Markt, warf den Waren an den Marktständen gönnerhafte Blicke von oben herab zu. Lauch, Broccoli und Kartoffeln waren ihre Untertanen.

Ganz anders »das Spitzmäuschen«, ein schmales Mütterchen mit spitzer Himmelfahrtsnase, das wieselflink zwischen den Marktständen hin und her huschte, da und dort etwas kaufte und in eine ausgebleichte Stofftasche mit dem Aufdruck Rettet den Regenwald stopfte.

Oder »der Herr Direktor«, ein groß gewachsener, schwerer Mann, der jeden Mittwoch zwei Kilo Rüebli kaufte und dabei mit seiner fetten Havanna den Marktstand einstinkte.

Und jetzt eben »der Schwede«. Er trug immer dieselbe verwaschene Jeans, dazu ein schokobraunes T-Shirt mit gelbem Aufdruck und über der Schulter einen Seesack aus blauem Leinenstoff. Sein aschblondes Haar war mit einem dünnen Lederband zusammengebunden; es war höchstens schulterlang, der kurze Pferdeschwanz sah deshalb aus wie ein Rasierpinsel. Úlfur hatte auffallende, eisblaue Augen und einen sauber gestutzten Siebentagebart.

Mit seinen hellen Augen musterte er gründlich die Waren am Marktstand. Im Laufe der letzten zwei Wochen hatte er sich durch sämtliche Apfelsorten gegessen, kaufte jeweils nur einen einzigen Apfel, den er gleich an Ort und Stelle mit großen Bissen verspeiste.

»Das Apfel hat mir gut geschmeckt«, erklärte er jedes Mal und bedankte sich lächelnd bei Lini, als hätte sie ihm den Apfel geschenkt. Selbst den mehligen Kochapfel hatte er gelobt. Mal sehen, für welche Sorte er sich heute entschied. Lini tippte auf Maigold, den hatte er besonders gemocht.

Derweil brachten Albert und sie die Erdbeeren unter die Leute. Die saftigen Gaumenschmeichler gingen weg wie frische Weggli. Jeder wollte sich den lang ersehnten Frühsommer auf der Zunge zergehen lassen.

»Einmal Erdbeeren gerne.«

»Der Schwede« hatte sich tatsächlich gegen die Äpfel entschieden und reichte Lini ein Körbchen der rot glänzenden Verführer. Sie packte die Beeren in eine dünne, transparente Plastiktüte, während Úlfur in seiner Hosentasche kramte und mit seinem lustigen Akzent drei Kilo Maigold-Äpfel verlangte.

Also doch, und dann gleich drei Kilo! Flink wog Lini die Äpfel ab, rechnete den Preis aus und nannte ihn ihm. Úlfur streckte ihr eine Zwanzigernote hin. Er hatte große, kräftige Hände, wie jemand, der viel körperliche Arbeit verrichtete. So wie Albert.

»Guten Appetit«, wünschte Lini und reichte »dem Schweden« die Erdbeeren, die Äpfel und das Wechselgeld.

Heute blieb er nicht am Stand stehen, um das Gekaufte sofort aufzuessen. Das wäre zwar eine gute kostenlose Werbemaßnahme für Alberts Marktstand, hätte aber eine Weile gedauert und womöglich mit Bauchweh geendet. Úlfur packte die Äpfel und die Erdbeeren in seinen Seesack und winkte zum Abschied.


Ein einziges Körbchen Erdbeeren blieb am Ende des Markttags übrig. Zwei oder drei Beeren waren leicht matschig, aber ansonsten einwandfreie Ware. Albert schenkte Lini das Körbchen, dazu fünf Stangen Rhabarber.

Beim Bäcker um die Ecke holte sie ein Silserbrötli mit Mostbröckli, spazierte dann zum Stadtpark, wo sie ihre Wasserflasche am Brunnen auffüllte, zum Spielplatz schlenderte und sich auf die Schaukel setzte. Nachdem sie ihr Sandwich verdrückt hatte, zog sie ein schmales Büchlein aus ihrem roten Stoffbeutel, öffnete das Buch beim Lesezeichen und begann zu lesen:

Me säät, ass scho sit Urzitte i de Höhlene em Alpstee Lüüt ggee hei. (Man erzählt, dass schon seit Urzeiten in den Höhlen des Alpsteins Leute gehaust haben sollen. - Auszug aus „Sagenreich Appenzell“ von Edi Moser)

Lini hörte die etwas heisere Stimme von Frau Manser, während sie die in Innerrhoder Dialekt geschriebene Geschichte von den Bommen-Zwergen las. Das Büchlein mit dem Titel Sagenreich Appenzell hatte Frau Manser gehört. Fast jede Woche hatte Lini ihre stark sehbehinderte Nachbarin besucht, um ihr etwas vorzulesen. Im Gegenzug hatte Frau Manser Lini die alten Appenzeller Sagen erzählt, welche sie Wort für Wort im Kopf gehabt hatte. Zu den Geschichten gab es Milchkaffee und selbst gebackenen Marmorkuchen oder Schlorzifladen mit Schlagrahm. Wehmütig dachte Lini an die gemütlichen Stunden auf dem petrolblauen Samtsofa in Frau Mansers kleiner Stube zurück.

Vor drei Wochen war die liebe Nachbarin gestorben.

Nach einem reich erfüllten Leben im 93. Altersjahr sanft entschlafen, hatte in der Todesanzeige gestanden.

Frau Manser lag jetzt auf dem Friedhof, die kleine Wohnung an der Rabenstrasse im Osten St.Gallens war geräumt. Frau Mansers Tochter hatte gestern bei Lini geklingelt und ihr einen Karton mit Büchern überreicht. Max Frisch, Friedrich Dürrenmatt und Martin Suter, aber auch englische Klassiker von Jane Austen, Agatha Christie, Thomas Hardy und Sir Arthur Conan Doyle. Um ihre als junge Frau erworbenen Sprachkenntnisse frisch zu halten, hatte Frau Manser englische Bücher gelesen, und als die Augen nicht mehr wollten, hatte Lini ihr regelmäßig auf Englisch vorgelesen.

Zuunterst in der Schachtel hatte das schmale Büchlein mit den Appenzeller Sagen gelegen. Die Geschichten jetzt selbst zu lesen brachte Frau Manser für ein Weilchen zurück. Lini vermisste die liebe Nachbarin, die ihr fast wie eine Großmutter gewesen war.

Während sie leicht hin und her schaukelte und lesend den Erlebnissen des Sennen Jock mit den Wildmannli folgte, naschte sie Erdbeeren und trank hin und wieder einen Schluck Wasser. Die Beeren schmeckten etwas sauer, hatten wohl einfach noch zu wenig Sonne gehabt.


Im Gebüsch hinter sich hörte sie es leise rascheln. Ehe sie den Kopf nach dem Geräusch wenden konnte, packte jemand die Ketten der Schaukel und zog diese zurück. Lini hielt sich flugs fest, um nicht herunterzufallen, verlor dabei ihr Buch, das mit einem dumpfen Geräusch auf den mit Holzschnitzeln bedeckten Boden fiel. Hilflos zappelte sie mit den Beinen in der Luft, dann wurde die Schaukel losgelassen, Lini bekam einen Schubs und schwang nach vorn.

»Gehts noch?« Sie verrenkte sich fast den Hals, um zu sehen, wer sie angestoßen hatte.

»Der Schwede« packte erneut die Ketten.

»Hallo Lini. Soll ich dir noch einmal stoßen?«

Frech grinsend ließ Úlfur die Ketten los und stieß Lini kräftig an, ging dann mit langen Schritten um die wild pendelnde Schaukel herum, bis er direkt in der Schusslinie stand. Lini bremste mit den Füßen ab, um ihn nicht wegzufegen, kickte deshalb aus Versehen das Buch fort. Dabei sollte sie besser ihn wegkicken.

Er kam ein paar Schritte näher und sah schmunzelnd auf Lini herab. Von unten gesehen wirkte er noch größer, ein stattlicher Jeucher, hätte Frau Manser vermutlich gesagt. Ein stinkfrecher Jeucher, fand Lini.

Er setzte sich im Schneidersitz auf den Boden, damit sie auf Augenhöhe waren.

»Du magst draußen sein, Lini?«, fragte er und musterte sie neugierig.

Lini verzog irritiert das Gesicht und zeigte unbestimmt zum knallblauen Himmel überm Stadtpark. »Bei dem Traumwetter.«

»Aber du magst immer draußen sein. Du arbeitest auch, wenn es regnet und kalt ist.«

Úlfur spielte wohl auf den letzten Mittwoch an, da waren Sturmböen über St. Gallen hinweggezogen, bei höchstens fünf Grad plus. Obwohl der Marktstand gedeckt und an drei Seiten mit Blachen verhängt war, hatte Lini ziemlich gefroren.

»Na klar, arbeiten muss ich auch, wenn es regnet. Ich bin es gewohnt bei Sauwetter draußen zu sein. Das macht mir nichts aus.«

Úlfur nickte stirnrunzelnd. »Wo ich lebe, ist auch nicht immer schönes Wetter. Viel Wind und sehr kalt.«

»Bist du aus Schweden?«, nutzte sie die Gunst der Stunde.

»Nein, nicht Schweden!«, empörte Úlfur sich zu Tode beleidigt. »Ich komme aus Ísland.«

Aha, Ísland. Ísland hatte sich zum ersten Mal für die Fußball-Europameisterschaft qualifiziert. Und beim FC Basel spielte ein hübscher Isländer, den sie Thor nannten. Thor hatte eine ähnliche Frisur wie sein Teamkollege Michael Lang, den Lini schon gemocht hatte, als er noch beim FC St. Gallen unter Vertrag stand. Mehr fiel Lini zu Ísland nicht ein. Thor – und ... ach ja, Vulkane.

»Und was machst du so, in Ísland«, fragte sie möglichst beiläufig.

Sie war ziemlich gut darin, die richtigen Fragen zu stellen. Die meisten Leute mochten es, wenn man die richtigen Fragen stellte, damit sie weit ausholend von sich selbst erzählen konnten. Manche waren derart eitel und selbstverliebt, ihre tollen Taten zu schildern, dass sie kaum ein Ende fanden. Andere hatten sonst schlicht niemanden, der ihnen zuhörte, und nutzten deshalb ihre Chance.

Úlfur lächelte zufrieden. »Ich bin Pferdezüchter und Seemann. Ich mache Fahrten mit Touristen, im Héðinsfjörður.«

Er nahm ihr Buch, wischte etwas Erde davon ab und legte es geschlossen, quer vor sich hin.

»Das ist Ísland«, erklärte er und klopfte mit dem Zeigefinger auf die untere, linke Ecke des Buches. »Hier liegt Reykjavík, die Hauptstadt von Ísland. Und hier«, sein Finger fuhr nach oben, etwa zur Mitte des Buchrückens, »ist der Héðinsfjörður.«

»Dort wohnst du also, züchtest Pferde und fährst mit dem Schiff herum?«

Er schüttelte den Kopf. »Dort mache ich die Touristenfahrten.« Ungeniert nahm er eine kleine Erdbeere aus dem Körbchen und legte sie ein Stückchen vom Buchrücken entfernt hin.

»Das ist Öskuey, die Ascheninsel«, erklärte er stolz, als hätte er das Eiland selbst entdeckt. »Meine Heimat liegt am Polarkreis und sie ist sehr besonders.«

Er schien seine Heimat sehr zu lieben. Lini fröstelte beim Gedanken an Polarkreis und Windböen. Die Ostschweiz musste einem Isländer vorkommen wie das reinste Tropenparadies.

»Du liest gerne diese Geschichten?« Úlfur deutete auf Sagenreich Appenzell. Seine Miene zeigte ehrliches Interesse.

»Ja, ich mag Sagen und Märchen. Das Buch gehörte meiner Nachbarin, Frau Manser. Sie sprach Innerrhoder Dialekt und konnte diese Geschichten wunderschön erzählen. Leider ist sie kürzlich gestorben.«

Úlfur wirkte betroffen. »Warst du deshalb so traurig, als ich das erste Mal an deinen Marktstand kam?«

Unglaublich, dass einem Wildfremden ihre gut versteckte Traurigkeit aufgefallen war. Und dass er sich immer noch daran erinnern konnte.

Lini nickte. »Am Tag davor war Frau Mansers Beerdigung.«

»Das tut mir leid für dich, Lini. Hilft es dir, wenn du nun diese Geschichten liest?«

»Ja. Es ist dann fast so, als säße ich wieder bei Frau Manser in der Stube.«

Lini erschrak, weil die Worte einfach so aus ihrem Mund purzelten. Sie kannte Úlfur doch gar nicht! Was ging ihn ihre Trauer um Frau Manser an?

Rasch fragte sie ihn: »Und was machst du hier, in der Schweiz?«

»Meine Urgroßmutter Margrith stammte aus Trogen. Ich möchte mir ihre frühere Heimat ansehen.«

Es gefalle ihm hier sehr gut, meinte er und erzählte von seinen Ausflügen ins Alpsteingebiet und dem Besuch in der weltberühmten Stiftsbibliothek.

»Jæja.« Er klopfte lächelnd auf das Büchlein. »Wir haben auch alte Geschichten. Du musst unbedingt unsere Geschichten kennenlernen.«

Goldig, wie stolz er auf seine Heimat und deren Geschichten war. Lini vergaß ihre Melancholie und verlor sich ein bisschen in den eisblauen Augen.

Der dumpfe Aufprall eines weiß-blauen Fußballs schreckte sie auf. Die Lederkugel stieß ihre Wasserflasche um, gluckernd lief die erfrischende Flüssigkeit auf die Erde. Úlfur stoppte den Ball, reckte mit gerunzelten Augenbrauen den Kopf und rief etwas in einer fremden Sprache, vermutlich Isländisch. Lini sah in die Richtung, aus der der Fußball hergeflogen war. Ein braunhaariger Jugendlicher kam grinsend auf sie zugelaufen und warf dabei einen Apfel von einer Hand in die andere.

»Entschuldige Lini. Sumarliði hält sich wohl für Birkir Bjarnason«, meinte Úlfur grinsend.

Lini schloss daraus, dass der Junge Sümarirgendwas hieß, und mit Birkir Bjardnasowieso war vermutlich der Isländer vom FC Basel gemeint. Klang der Name bei den Sportreportern im Fernsehen nicht ganz anders?

Úlfur nahm die Wasserflasche in die Hand und drehte sie um. Kein Tropfen mehr drin. Lächelnd bot er an, sie aufzufüllen.

Man sah kleine Grübchen zwischen den Barthaaren und seine hellen Augen funkelten geheimnisvoll.

Ehe sie das Angebot annehmen konnte, war Úlfur schon aufgestanden und auf dem Weg zum Brunnen, der ein gutes Stück vom Spielplatz entfernt lag. Auf der bunt bemalten Riesenschlange, die sich über den Spielplatz wand, balancierte eifrig ein kleiner, rothaariger Junge. Ruckartig wandte das Kind den Kopf nach dem sich nähernden Úlfur und verlor dabei das Gleichgewicht. Er streckte blitzartig den Arm aus und fing es auf. Sagte lächelnd etwas zu dem Jungen und strich ihm kurz über den roten Schopf. Das Kind setzte seine Balanceübung auf der Schlange fort.

Der jugendliche Fußballer tippte Lini von hinten an die Schulter. Sie wich der Berührung aus, was auf der Schaukel sitzend zur unbequemen Verrenkung wurde.

»Gutes Appel«, radebrechte der Junge und hielt ihr den angebissenen Maigold vors Gesicht.

Was sonst, sind ja schließlich Thurgauer Äpfel. Linis Nacken verkrampfte sich beim Versuch, den Abstand zum angebissenen Apfel zu vergrößern.

»Bist du mit Úlfur unterwegs?«, fragte sie höflich auf Englisch.

»Jaa, ich bin ein Wikinger auf großer Fahrt«, witzelte der Junge ebenfalls auf Englisch, biss genüsslich in seinen Maigold und kaute ihr geräuschvoll ins Ohr. Lini stand auf und angelte nach ihrem Stoffbeutel und dem Buch. Sofort eroberte der Apfelesser die frei gewordene Schaukel, begann kauend hin und her zu schwingen und zwang Lini zur Seite zu treten.

Úlfur hatte seine Mission am Brunnen erfolgreich beendet und schlenderte mit leuchtendem Gesicht und voller Flasche auf sie zu.

»Du musst viel trinken, wenn es so heiß ist«, ermahnte er sie unnötigerweise und reichte ihr die Flasche. Für Linis Geschmack stand er zu nah, sie wünschte sich an den Marktstand hinter Apfelkisten und Erdbeerkörbchen zurück.

»Also, äh, ich muss jetzt weiter«, erklärte sie und bückte sich nach den Erdbeeren. Úlfur kauerte schon dicht vor ihr am Boden und sah ihr fest in die Augen. »Ich freue mich, dich bald wiederzusehen, Lini.«

Er pickte die Ascheninsel, die kleine Erdbeere, vom Boden auf und schob sie sich in den Mund, dann langte er mit seiner großen Hand nach Linis Gesicht, aber sie versteifte sich und wich zurück, die Augen zwei schmale Schlitze.

Grinsend ließ er die Hand sinken.

»Tschüss.« Lini packte ihre Sachen und machte sich davon.


»Aschengrenze – eine isländische Geschichte« von Monika Jaedig - Urheberrechtlich geschütztes Material.


Taschenbuch, 380 Seiten, ISBN: 978-3-7392-4786-1


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