Aschengrenze - eine isländische Geschichte

 


Ostschweizer Autorin entdeckt geheimnisvolle Insel am Polarkreis


Öskuey heißt die Insel, deren Bewohner noch fast genauso leben wie die ersten Isländer. Úlfur ist einer von ihnen, der Pferdezüchter und Seemann und zukünftige Häuptling Öskueys. Er wurde dazu verurteilt, auf Víkingfahrt zu gehen. Seine Reise führt ihn nicht nach Dänemark, Irland oder Norwegen, sondern ins Herz der Ostschweiz, nach St. Gallen.

Die Isländersagas und die alten Volksmärchen aus Island und dem Appenzell dienten Monika Jaedig als Inspirationsquellen für ihren neuen Roman „Aschengrenze – eine isländische Geschichte“. Die Isländersagas, der Kulturschatz Islands, berichten aus der Landnahmezeit im 9. und 10. Jahrhundert. In den Volksmärchen der rauen Vulkaninsel tummeln sich geheimnisvolle, übernatürliche Völkchen, ebenso in den Sagen aus dem Herzen der Ostschweiz. Wenn von isländischen Elfen oder Appenzeller Wildmannli erzählt wird, finden sich verblüffend oft ähnliche Motive. Selbst bei der Sprache ist Monika Jaedig im Laufe ihrer Recherchen auf eine witzige Ähnlichkeit gestoßen: Abfall heißt im Innerrhoder Dialekt „Rösl“. Auf Isländisch nennt man den Abfall „rusl“, wobei das u wie ein ü, das leicht ins ö hineinspielt, ausgesprochen wird.

Ihre Isländischkenntnisse waren Monika Jaedig in vielerlei Hinsicht hilfreich: Sei es, um isländische Quellen nutzen zu können, aber auch bei der Auswahl der Namen für ihre Figuren. Die Namenswahl für Personen und Örtlichkeiten wird in Island nicht dem Zufall überlassen. Kinder erhalten ihren Namen oft erst nach der Geburt, wenn die Eltern ihren Sprössling etwas kennengelernt haben.

Das Wissen, wie Orte zu ihrem Namen gekommen sind, ist auf der Vulkaninsel tief verankert. Monika Jaedig achtete deshalb gut darauf, passende Namen zu vergeben. Figuren mit irischen Vorfahren bekamen bewusst isländische Vornamen irischen oder keltischen Ursprungs. Bei einem rotbärtigen Fischer namens Gunnar Aronsson erlaubte sie sich einen Scherz und drehte und wendete kurzerhand den Namen eines bekannten Fußballers. Einem Bauern, der ziemlich großmäulig daherkommt und immer zu laut spricht, gab sie den Namen Atli þrym Egilsson. Sein Spitzname þrym leitet sich von þruma (donnern, krachen) ab und passt darum perfekt. In einem umfassenden Glossar werden verschiedene Personen- und Ortsnamen aus dem Roman erklärt, aber auch isländische und ein paar schweizerische Ausdrücke. Abgesehen von den isländischen Namen sind im Text jedoch nur wenige isländische Begriffe zu finden. Lieber verwendet die Autorin deutsche Ausdrücke, die der isländischen Entsprechung möglichst nahekommen und dem Text so einen isländischen Anstrich verleihen.

Neben der in St. Gallen wohnhaften weiblichen Protagonistin Feline (genannt Lini) ist die Ostschweiz durch einige liebenswerte Nebenfiguren vertreten. Favorit der Autorin ist Johann Inauen, ein knorriger Appenzeller Bauer und Seniorchef eines fiktiven Altnauer Obst- und Gemüsebaubetriebs. Johann war als junger Knecht manchen Sommer auf der Alp und erlebte dort einiges, das direkt aus einer Appenzeller Sage entsprungen sein könnte. Im Zusammenhang mit Johanns Erlebnissen stellt die Autorin eine interessante Theorie auf, die auf die Spur des bestgehütetsten Appenzeller Geheimnisses führen könnte. Sie ahnen es bestimmt, es geht um den berühmten Appenzeller Käse ...

Neben den zahlreichen erfundenen Figuren spielen auch ein paar echte mit – und zwar vierbeinige, die Monika Jaedig bei einem Islandpferdecasting auswählte. Gesucht wurden ein gutmütiger Wallach, auf dem die Protagonistin Lini erste Reitversuche machen konnte, eine Stute mit Fohlen und ein mutiges Pferd, das für seinen Besitzer durch dick und dünn geht. Letzteres fand Monika Jaedig gar in der Ostschweiz, den liebenswerten Islandwallach Pjakkur, der ein talentiertes Springpferd ist, obwohl das Überwinden von Hindernissen eher nicht zur Kernkompetenz der Islandpferde gehört. Berühmt sind sie nämlich für ihre zusätzlichen Gangarten Tölt und Rennpass.

Ein rosaroter Ponyhofroman ist „Aschengrenze“ jedoch nicht und die vom Massentourismus überfluteten Sehenswürdigkeiten kommen auch nicht vor. Eingebettet in die berührende und spannende Handlung erfahren die Leser dafür einiges über Island, die Isländer und ihre Kultur, und alle Nicht-Ostschweizer obendrein etwas über den schönen Flecken im Osten der Schweiz. Wie in isländischen Geschichten üblich, spielen Familienbande eine zentrale Rolle, aber auch der Tod ist gegenwärtig. Mit Öskuey schuf Monika Jaedig sich ihr eigenes kleines Stück Island, ihre Bühne für Aschengrenze.


Monika Jaedig, Juli 2017


Taschenbuch, 380 Seiten, ISBN: 978-3-7392-4786-1